#wirimwandel: Interview mit Dr. Louis Hagen
Krieg, Energieversorgung, Inflation: Die Welt steht vor enormen Herausforderungen und einer grundlegenden Wende. Wie stellen Sie sich in Ihrem Institut auf diesen Wandel ein?
Wir haben im ersten Halbjahr unser Neugeschäft noch einmal ausbauen können und auch unsere Erträge gesteigert. Dennoch waren die Unsicherheiten, die der Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine ausgelöst hat, zunehmend zu spüren. Inzwischen hat die Rezessionsgefahr weiter zugenommen. An den Wohn- und Gewerbeimmobilienmärkten hat die dynamische Entwicklung der vergangenen Jahre deshalb bereits nachgelassen. Angesichts der konjunkturellen Unsicherheiten und hohen Inflation erwarten wir eine weitere Abkühlung der Märkte.
Als risikobewusster Finanzierungsgeber haben wir unsere Kreditpolitik bereits an die veränderten Rahmenbedingungen angepasst. So bleiben wir mit einer verantwortungsvollen Kreditvergabe auch bei den derzeitigen Unwägbarkeiten ein verlässlicher Finanzierungspartner unserer Kunden. Hinzu kommt, dass unser Hypothekenportfolio breit diversifiziert ist und niedrige Beleihungsausläufe aufweist. Somit sehen wir uns für die kommenden Herausforderungen gut gerüstet.
Welche wirtschaftliche Entwicklung erwarten Sie für Deutschland in den nächsten drei Jahren, und mit welchen Auswirkungen auf den Immobilien- und Pfandbriefmarkt rechnen Sie?
Die konjunkturellen Perspektiven haben sich mit den wachsenden Sorgen um die Entwicklung der Wirtschaft und die Sicherheit der Energieversorgung im kommenden Winter weiter eingetrübt.
Mit dem Anstieg der Darlehenszinsen haben sich zudem die Finanzierungskosten an den Immobilienmärkten rasch und deutlich erhöht. Die Folge: Bei Gewerbeimmobilien werden sich der Investmentmarkt und das Kreditneugeschäft im Jahr 2022 voraussichtlich rückläufig entwickeln. Betrachtet man die verschiedenen Anlageklassen, verläuft die Entwicklung differenzierter. Büro- und Einzelhandelsimmobilien werden durch die aktuellen Rahmenbedingungen stärker belastet. Die Nachfrage nach Logistikimmobilien wird weiter positiv sein, da Unternehmen zunehmend eigene Lager aufbauen, um die Lieferfähigkeit sicherzustellen.
Am Wohnimmobilienmarkt werden steigende Zinsen und Baukosten die Erschwinglichkeit von Häusern und Wohnungen erschweren. Schon jetzt sehen wir im Kreditgeschäft, dass sich die Nachfrage von Neubaufinanzierungen zu Bestandsfinanzierungen verlagert. Wohnraum ist in vielen Teilen Deutschlands jedoch weiterhin knapp und der Neubau ist nicht bedarfsdeckend. Das wirkt stabilisierend auf den Markt und die Preisentwicklung.
Am Kapitalmarkt hat die jüngste Anhebung der Leitzinsen durch die EZB zwar die Attraktivität des TLTRO-Programms erhöht. Trotzdem ist die Nachfrage nach Pfandbriefen nach der Sommerpause unverändert hoch. Das hatten viele aufgrund des lebhaften ersten Halbjahres nicht erwartet. Es zeigt sich jedoch, dass Investoren, die zum Teil länger nicht in Pfandbriefe investiert haben, das deutlich veränderte Zinsniveau zum Wiedereinstieg nutzen. Somit gab es in den letzten Wochen einige sehr erfolgreiche großvolumige Emissionen. Aktuell ist daher davon auszugehen, dass die Nachfrage nach Pfandbriefen auch im vierten Quartal hoch bleiben wird.
Kreditinstitute nehmen bei der Bewältigung der aktuellen Herausforderungen eine Schlüsselrolle ein. Was ist Ihr Appell an Aufsicht und Politik?
Mehr als ein Jahrzehnt nach der Wirtschafts- und Finanzkrise stehen Kreditinstitute weiterhin stark im Fokus der Regulierer. Während die Verschärfung der Regeln damals durchaus angemessen war, um den Finanzsektor stabiler zu machen, stellen die immer neuen Regulierungsvorhaben die Institute inzwischen vor große Herausforderungen. Es besteht die Gefahr, dass deutsche bzw. europäische Institute im internationalen Wettbewerb zurückfallen und sich Geschäft in weniger streng regulierte Bereiche verlagert. Gerade in diesen herausfordernden Zeiten sollten sich die Regulierer darauf konzentrieren, den Kreditinstituten ihre klassische Funktion als Finanzierer der Realwirtschaft zu ermöglichen. Ohne funktionierende Banken und deren Kreditvergabemöglichkeiten sind so große Vorhaben wie die nachhaltige Transformation der Wirtschaft oder die Ausweitung von Wohnraum nicht möglich.