#wirimwandel: Interview mit Dr. Jürgen Michels
Krieg, Energieversorgung, Inflation: Die Welt steht vor enormen Herausforderungen und einer grundlegenden Wende. Wie stellen Sie sich in Ihrem Institut auf diesen Wandel ein?
Schon vor einiger Zeit hat sich die Bayern LB in ihrer Strategie auf Fokussektoren konzentriert, bei deren Auswahl Megatrends eine große Rolle spielen. Durch die angesprochenen Ereignisse wurde die Notwendigkeit der Transformation bei der Energieversorgung, der Mobilität und der technologischen Infrastruktur, alles Sektoren die wir als Zukunftsfinanzierer besonders begleiten, nochmals verstärkt. Und auch im Immobilienbereich wird es im Hinblick auf die existierenden Herausforderungen weiterhin einen sehr großen Finanzierungsbedarf geben. Dennoch stellen wir die Strategie regelmäßig auf den Prüfstand, um die Auswirkungen der veränderten Rahmenbedingen für die Märkte und Kunden zu berücksichtigen. Zusätzlich wächst in dem (auch politisch) anhaltend unsicheren Umfeld die Bedeutung von Szenarioanalysen.
Welche wirtschaftliche Entwicklung erwarten Sie für Deutschland in den nächsten drei Jahren, und mit welchen Auswirkungen auf den Immobilien- und Pfandbriefmarkt rechnen Sie?
Der Verlust an Kaufkraft durch die Inflationswelle, die Verschärfung der Finanzierungskonditionen durch steigende Risikoprämien, eine härtere Gangart der Zentralbanken und die zunehmende internationale Blockbildung werden auch mittelfristig die Konjunktur in Deutschland belasten. Mit abnehmendem Inflationsdruck und einer Normalisierung der internationalen Lieferketten sollten wir uns jedoch ab Mitte 2023 langsam aus der derzeitig herrschenden Stagflationsphase herausbewegen. Für den deutschen Immobilienmarkt ist besonders die Zinswende von Bedeutung. Nach stark steigenden Wohnimmobilienpreisen im ersten Quartal 2022, ist im Jahresverlauf aufgrund der deutlich gestiegenen Bauzinsen mit einer Abschwächung der positiven Preisdynamik zu rechnen. Aufgrund der niedrigen Arbeitslosenquote zeigt sich dennoch weiterhin eine solide Nachfrage. Auch das Angebot an Wohnraum bleibt – v.a. in den Top7-Städten – bis auf Weiteres knapp. Dementsprechend wird 2022 noch ein landesweiter Anstieg der Wohnimmobilienpreise von 4,0% erwartet. Im Jahr 2023 endet dann der jahrelange Immobilienboom in Form eines leicht sinkenden Preisniveaus, welches sich in den beiden Folgejahren weiter fortsetzen wird. Bei den konjunktursensitiven Gewerbeimmobilien und im Besonderen bei Büroimmobilien rechnen wir bereits in diesem Jahr mit leicht sinkenden Preisen und gehen in abgeschwächter Form auch im Jahr 2023 von Rückgängen aus. Auch der bereits beobachtbare Rückgang des Preisniveaus bei stationären Einzelhandelsobjekten wird sich im Jahr 2022 weiter verfestigen. An den Pfandbriefmärkten dürfte in den nächsten Jahren eine gesteigerte Primärmarkt-Aktivität zu beobachten sein, da die niedrigen Refinanzierungskosten dieser Instrumente an Bedeutung gewinnen werden. Zudem ist die EZB mit dem Ende der CBPP3-Nettokäufe und dem Auslaufen der TLTROs nicht mehr als Liquiditätssponsor aktiv. Dies sollte durchaus zu einer Ausweitung der Spreads führen. Diese dürfte allerdings begrenzt bleiben, da die Nachfrage von Investorenseite aufgrund des allgemein höheren Renditeniveaus ebenfalls steigen sollte.
Kreditinstitute nehmen bei der Bewältigung der aktuellen Herausforderungen eine Schlüsselrolle ein. Was ist Ihr Appell an Aufsicht und Politik?
Im Gegensatz zur Finanzkrise ist der Bankensektor dieses Mal nicht Ursache des Problems, sondern Teil der Lösung. Dies ist sicherlich den gestrafften regulatorischen Rahmenbedingungen zu verdanken. In der aktuell angespannten Situation sollte jedoch davon abgesehen werden, Maßnahmen zur weiteren Krisenprävention zu ergreifen. Konkret bedeutet das, dass es im Umfeld von Zinssteigerungen und einer Trendwende bei den Immobilienpreisen unangebracht wäre, die Institute zum Aufbau zusätzlicher Puffer für eine mögliche Trendwende an den Immobilienmärkten zu veranlassen. Dies wäre etwa so, als ob man die Feuerwehr nach dem Ertönen der Sirene anstatt zum Einsatzort zu einer Übung schicken würde. In dem für alle Beteiligten (Kreditinstitute, Aufseher und Politik) sehr unsicheren Umfeld sollte vielmehr der Austausch untereinander intensiviert werden, um sicherzustellen, dass die vorhandenen Kriseninstrumente im Ernstfall bestmöglich eingesetzt werden.